Ein Brief an die Melancholie

Hallo, du bittersüße Melancholie.
Wie du mich schon seit Tagen, wenn nicht seit Wochen ausfüllst. Hast mich wohl vermisst, hm? Weißt du, manchmal hast du mir sogar auch ein bisschen gefehlt. An Tagen, wenn alles so unendlich schön war und ich bedingungslos glücklich. Habe nicht mehr so viel nachgedacht wie sonst. Habe nicht mehr schreiben können, so wie sonst. War einfach alles verdammt okay. Ich dachte mir okay, vielleicht bist du der Ursprung meiner Kreativität und es wäre doch irgendwie schön, mal wieder zu schreiben oder Musik zu machen. Jetzt liege ich in dem Bett, in dem ich meine gesamte Jugend über geschlafen habe. Und ich spüre, wie es war. Wie ich jeden Abend traurig ins Bett gegangen bin, weil ich mein Herz an einen Jungen verschenkt habe, der es absolut nicht wert war. Dass ich mich nahezu jeden Morgen übergeben habe, weil ich Angst hatte, in die Schule zu gehen, Angst hatte vor mir selbst. Mich gehasst habe, mir gewünscht habe, ich würde anders aussehen, anders denken, anders sein. Ich habe mir jeden Tag in meinen Kalender geschrieben, wofür es sich zu Leben lohnt. Was mich den Tag durchhalten ließ, auch wenn es meistens nur Kleinigkeiten waren. Heute sagt man mir, ich solle meinen Lebensmut niemals verlieren und weiterhin so fröhlich bleiben. Was wirklich, wirklich witzig ist, da absolut niemand weiß, wie unglücklich ich damals war und sich meine gesamte Teenagerzeit wie eine einzige Farce angefühlt hat. Und wenn mich heute Vögel, die durch die Luft fliegen, unheimlich glücklich machen oder ein Kaffee in der Sonne mich zum Strahlen bringt oder auch nur die Tatsache mein Herz zum Hüpfen bringt, eine neue Band entdeckt zu haben - dann ist das, weil ich gelernt habe, mich über die kleinen Dinge zu freuen, da es eben jene waren, die mich gerettet haben. Der Grund, warum ich so weit aushole ist, dass ich mich seit Längerem wieder so fühle wie vor sechs Jahren. Ich überlege, was die Ursache sein könnte. Vielleicht, dass ich aktuell wieder in einem Alltagstrott gefangen bin, wie ich es damals in der Schule war. Vielleicht auch, dass ich absolut nicht weiß, wie meine Zukunft aussehen soll. Mein Herz ist wieder ganz schwer, obwohl ich in einer sehr glücklichen Beziehung lebe und J. für mich bis ans Ende der Welt gehen würde. Doch ich lechze nach mehr. Will aus sämtlichen Systemen ausbrechen, die mich einschränken. Nine to five job - nicht das Richtige für mich. Aber was ist es dann, wie kann ich mein Überleben sonst absichern? Monogamie ist es anscheinend auch nicht, aber bin ich für Polyamorie nicht viel zu sensibel? Ich fühle mich wieder wie verdammte sechszehn Jahre. Ich liege wieder in diesem Bett, bin immernoch viel zu lange wach. Bin wieder nicht hundertprozent anwesend, wenn ich unter Menschen bin. Möchte wieder mit Niemandem reden, teile mit Niemandem diese Gedanken außer mit dir, du liebe Melancholie. Und vorallem: ich bin wieder traurig. Und nein, ich meine keine Traurigkeit, die man hat, wenn man einen schlechten Tag hatte. Sondern die Traurigkeit, die dich alles wie durch einen Nebelschwaden sehen lässt. Die sich so anfühlt, als wäre sie 100kg schwer und hätte sich auf deine Brust gesetzt. Die dich auslaugt, dich zeichnet und dich isoliert. Die Traurigkeit, die dich an jedem bisschen Glück festhalten lässt, sollte es noch so klein sein.
Was soll ich nur tun?